Holzfassgereifte Craftbiere – sogenannte Barrique-Reifung
Los ging die Sache mit holzfassgereiften Bieren – Barrique-Reifung – auch wieder bei den innovativen amerikanischen Homebrewer Anfangs 90iger. Ich bin bei Goose Island in Chicago und später Firestone Walker in Kalifornien zum ersten Mal über diese Geschichte gestolpert. 1966, als Praktikant bei Müller Bräu in Baden, habe ich noch richtige Holzfässer «geschlupft» (gereinigt) und mit Schwefelschnitten ausgebrannt. Und selber erlebt, was passiert, wenn es einem Holzfass den Boden rausschlägt und 4’000 Liter Bier ausströmen. Kurz darauf wurde der alten Keller geräumt und mit Stahltanks belegt. Es waren, wahrscheinlich, vorerst die letzten Holzfässer in der Schweizer Bierwelt. Und jetzt kommt sie wieder? Verkehrte Welt.
Die Craftbrewer wollten es wissen
An der Craft Brewers Conference in Washington, ich glaube 2012, hielt eine junge Brauingenieurin aus Belgien ein Referat über Holzfassreifung. Sie hat die drei Hauptgeschmacksfaktoren und ihre Herkunft detailliert untersucht. Ich hatte bis ins Detail begriffen, worum es bei der Holzfassreifung geht. Der Schlusssatz des Referates – etwas abgekürzt – «vergessen Sie die Holzfassreifung, sie bekommen das nie in den Griff» war allerdings nicht gerade ermutigend. Die Dame kam aus der Produktentwicklung einer der grossen Konzernbrauer und hat ihre Arbeit aus der Optik einer Industriebrauerei verfasst. Da sind möglichst gleichartige Biere gefragt. Für einen kleinen Craftbier-Brauer, wie PILGRIM, sieht das völlig anders aus. Wir wollen keine «gleichartigen Biere» sondern möglichst spannende und differenzierte Genüsse, mit Geschichten und Erlebnisse dahinter.
Zum Glück habe ich die Sheets dieses Referats abfotografiert. Sie sind nicht, wie sonst üblich, in der Datenbank erschienen.
Holzfass-Knowhow
Kontakte mit Holzfass-Firmen in Deutschland und Frankreich, Gespräche mit französischen Wein-spezialisten und portugiesischen Portweinprofis, ein Meeting bei Axel Kiesby in Salzburg haben dann
langsam die Basis gelegt für mein bescheidenes Wissen über Holzfassreifung von Bieren. Das Thema ist komplex und spannend. Es hat mich zunehmend fasziniert. Viele Verkostungen der ersten «holzfassgereiften» liessen mich das geschmackliche Potential erahnen. Aber auch die Problematik der Fehlgärungen, die sich in jede zweite Verkostungsprobe einschlich!
Die mystischen Kräfte im alten Klosterkeller
Als ich durch Zufall den alten Klosterkeller im Benediktiner-Kloster Fischingen entdeckte, lag die Idee auf der Hand: PILGRIM Grand Crus, ausgereift in Holzfässern, gelagert im 300 Jahre alten Klosterkeller. Mit freundlicher Unterstützung der einzigartigen mystischen Kräfte des Ortes und deren Geschichte!
Bis die Idee aber funktionierte brauchte es noch einigen Aufwand. Zuerst mussten wir den verwahrlosten Keller aufräumen und die Kartoffelhurden aus den Kriegsjahren entsorgen. Danach haben wir Stromleitungen eingelegt und den Naturboden mit den zum Glück noch vorhandenen, uralten Bodenplatten saniert. An der Gewölbedecke durften wir gar nichts machen – darüber liegen die «heiligen Räume» des Klosters. Niemand weiss genau, wie die Decke konstruiert ist.
Weil es weder Wasser noch Ablauf gab, musste ein kleinen Schacht gebaut werden. Das Abwasser pumpen wir nun jeweils aus dem Schacht in die Kanalisation. Den Keller haben wir durch Leitungen mit der Brauerei verbunden: Wasser, Eiswasser für Kühlung der vier kleinen Puffertanks,
IT-Kabel und zwei Produktleitungen für die Biere. Zwei brauchts, um im Kreislauf zu reinigen. Die isolierten Leitungen liegen in einem tiefen Graben zwischen Brauerei und Keller und führen durch die 3 Meter dicken Fundamentmauern das Klosters (vom Bohren wissen wir, wie dick diese Mauern wirklich sind).
Jungbier aus der offenen Gärung
Das vergorene Jungbier fliesst aus den offenen Gärbottichen durch diese Leitungen in die Puffertanks Im Klosterkeller. Von da wird es mit Schläuchen und sogenannten «Schwanenhälsen» auf die Fässer verteilt, wo wir es monatelang reifen lassen. Besondere Aufmerksamkeit braucht das Keller-Klima. Damit es möglichst gleich bleibt überwachen wir permanent Temperatur und Feuchtigkeit
Diese Daten müssen wir auch der Denkmalpflege zur Verfügung stellen. 72-75% Luftfeuchtigkeit ist optimal. Bei zu trockener Luft beginnen die Fässer zu rinnen. Und wenn es zu Feucht wird, gibt es schnell Schimmel auf Wänden und Fässer. Die Temperatur hinter den dicken Mauern bewegt sich zwischen 12 und 18 Grad, optimal für den Reifeprozess. Bei dieser Temperatur «atmet» das Holz, die Poren öffnen sich mit der Wärme und schliessen sich wieder mit Kälte. Ein wenig Wasser verdunstet durchs Holz – der sogenannter «Angels Share» – und beeinflusst das Klima ebenfall.
70 Barrique-Fässer
Rund 70 Barrique-Fässer haben in unserem Keller Platz. Die kleineren Fässer mit 190 Liter stammen aus England und wurden für Whisky und Rum gebraucht. Die Original-Barrique-Fass haben 225 Liter und waren mit Wein gefüllt. Barrique war gleichzeitig auch eine Masseinheit. Der Keller fast
12 – 14’000 Liter. Bei zweimaligem Umschlag pro Jahr sind das 70’000 kleine oder 35’000 grosse Champagnerflaschen PILGRIM Grand Cru. Mehr geht nicht durch.
Grundsätzlich verwenden wir nur die kleineren Barrique-Fässer, welche mit Spirituosen befüllt waren und setzen ausschliesslich Biere mit deutlich mehr als 10% Alkohol ein. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass «leichtere» Biere zu wenig «Body» haben um die intensive Ausreifung zu verkraften und schnell sauer werden.
Die Fässer selbst können wir zweimal belegen. Das Bier aus der ersten Belegung unterscheidet sich deutlich vom Bier aus der zweiten Belegung. Wir machen deshalb in den kleinen Puffertanks aus mehreren Fässern einen Blend, sprich Mischung, mit Bieren aus Erst- und Zweit-Belegung. Um kein Chaos in der Vielfalt zu erhalten, setzen wir für unsere drei Barrique-Biere immer die gleichen Fasstypen ein: Rumfässer für unser Belgian Blonde; Whiskey-Fässer für das Imperial Russian Stout und Cognacfässer für die Jahrgangsbiere. Unsere Freunde wissen so, was sie etwa erwartet.
PILGRIM Limited Edition
Wechselnde Fässer und wechselnde Bierstile bieten viel Raum für Varietäten. Bis jetzt brauten wir jedes Mal ein Belgisches Blonde Ale mit ca. 12 – 13% Alkohol und wechselten die Fässer. Limited No. 1 bis 3 waren in Merlot-Fässern, das Limited No. 5 kam aus dem Tequila-Fass (war sofort vergriffen!). Das aktuelle Limited Edition No. 4 reifte in Chardonnay-Fässern. Die Merlot- und Chardonnay-Fässern aus dem Tessin waren ein Versuch, wie das mit Weinfässern funktioniert. In der ersten Belegung entwickelten sich spannende, wunderbare Aromen. Ganz besonders das aktuelle Limited aus den Chardonnay-Fässern überzeugt mit einer feinen, fruchtigen Note mit noch spürbarem Einfluss der Traube. Hingegen funktionierte die 2. Belegung bei den Weinfässern nicht mehr. Wir mussten einige hundert Liter «vernichten», weil die Aromabildung bzw die Reifung nicht wunschgemäss abgelaufen ist. Das heisst, man hat den Alkohol zu Schnaps weiterverarbeitet.
Aktuell reift bereits das nächste Limited in andern Fässern im Keller. Was für Fässer aktuell belegt sind, verraten wir jetzt nicht – lassen Sie sich überraschen und bleiben Sie dran!
Das Schöne an diesen holzfassgereiften Grand Crus mit deutlich mehr als 10% Alkohol ist die unbeschränkte Haltbarkeit. Man kann sich problemlos einen Vorrat anlegen und hat damit
immer wieder eine spezielle Überraschung im Keller für eine besondere Gelegenheit, einen Besuch oder den eigenen Gluscht.
Haben Sie gewusst, dass man die Biere auch einlagern kann?
Mal einen Blick in den Barrique-Keller werfen?
Jeden 1. Samstag im Monat machen wir eine Öffentliche Führung durch die Brauerei bis hin zum mystischen Barrique-Keller.
Martin Wartmann, Bierbrauer